Freitag, 2. März 2018

Danach



Nach langer Zeit mal wieder ein „Hallo zusammen“,

Ich weiß, ich habe diesen Blogpost ewig vor mir hergeschoben. Oder vielleicht wusste ich auch nur einfach nicht genau, was ich noch schreiben sollte. Aber beim Anschauen von alten Fotos dachte ich mir gerade ganz nach südafrikanischer Art „come on, who needs a plan“ und schreibe jetzt einfach drauf los.

Ich bin tatsächlich schon seit einem halben Jahr wieder in Deutschland. Einerseits kommt es mir nicht so vor, als seien seit meiner Rückkehr schon 6 Monate vergangen. Andererseits ist Südafrika überraschend schnell in die Ferne gerückt. Und trotzdem gibt es häufig Momente, in denen es mir wieder ganz nah erscheint. Wenn ich Fotos anschaue. Oder wenn ich mit meinen Freunden und engen Bezugspersonen wie meiner Gastoma telefoniere. Wenn ich mich mit Anderen, die auch im Ausland waren, über Erfahrungen austausche. Und in völlig unerwarteten Momenten wie beim Schauen eines Films, der überraschenderweise irgendwo in Afrika spielt. Oder in alltäglichen Situationen, wo ich mir manchmal immer noch denke: Die Deutschen müssen gelassener werden. So wie die Südafrikaner!

Ich weiß, dass Vergleiche dieser Art nichts bringen. Jedes Land und seine Bewohner sind eben so, wie sie sind. Es gibt sowohl in Deutschland als auch in Südafrika positive und negative Seiten. Und gewisse kulturelle Gegebenheiten oder gesellschaftliche Verhaltensweisen haben sich aus bestimmten Gründen entwickelt und haben ihre Gründe. So nehme ich einfach hin, dass die Deutschen ihre Ordnung und Struktur lieben und sich schnell mal aufregen, wenn der Bus 5 Minuten zu spät kommt, während dem Südafrikaner das schnurzpiepegal ist. Aber wie gesagt, ich vergleiche nicht. Ich nehme nur für mich mit. Von einigen Verhaltensweisen habe ich gelernt. Und die Entwicklung, die ich in Südafrika durchgemacht habe, wird ja nicht plötzlich wieder rückgängig, nur weil ich wieder in Deutschland bin. Auf viele Dinge habe ich nun eine andere Sichtweise oder bin zumindest fähig, sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Zum Beispiel achte ich mehr auf bewussten Konsum, auf fairen Handel beim Einkaufen, auf die Vermeidung von Müll, auf Philosophien von Unternehmen, bei denen ich kaufe, auf Dinge, die ich tun kann, um hier vor Ort etwas zu verbessern. Man muss nicht das Klischee erfüllen, „nach Afrika zu gehen und die armen schwarzen Kinder zu retten“, um zu „helfen“ (ein Wort, dass ich sehr kritisch betrachte und nur noch selten benutze. Helfen ist eine sehr subjektive Angelegenheit.)  Mit der Thematik habe ich mich auch beschäftigt: Sind Freiwilligendienste überhaupt sinnvoll? Oder Entwicklungshilfe generell? Begünstigen die Gelder, die aus Deutschland ins „arme Afrika“ fließen, nicht nur eine neue Form des Kolonialismus, der POC’s (persons of colour, ich versuche, politisch korrekt zu bleiben) als inferior und unfähig, sich selbst zu helfen, darstellt? Sehr kontrovers. Würde aber jetzt den Rahmen sprengen.

Auch wenn ich natürlich einige Denkweisen verändert habe, ist es nicht immer einfach. In Südafrika habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, was ich noch alles machen muss. Kaum wieder in Deutschland standen die noch nicht bearbeiteten Punkte auf der To-Do-Liste wieder im Vordergrund. Die deutsche Gesellschaft befindet sich in einem stetigen Kampf darüber, wer am meisten ausstehende Aufgaben hat und wer am meisten darunter leidet. Untätigkeit wird nicht akzeptiert, Sätze wie „Ich studiere dieses Jahr noch nicht, ich weiß noch nicht genau, was ich machen möchte“ oder „Mal schauen, vielleicht reise ich ein wenig“ werden mit Missbilligung aufgenommen. Dieser gesellschaftliche und dadurch gleichzeitig steigende individuelle Druck war mir vorher nie wirklich bewusst. Und endlich verstehe ich, wie Menschen unter Burnout oder Zukunftsängsten leiden können: Die Gesellschaft weist ihnen den Weg dorthin.

Ich habe mit Südafrika noch nicht abgeschlossen, und ich weiß nicht, ob das jemals passieren kann oder wird. Das Jahr hat mich nachhaltig verändert, und einige Veränderungen entdecke ich erst jetzt oder habe ich vielleicht noch gar nicht entdeckt. Vielleicht ist das das Schönste an dieser Möglichkeit, ein Jahr im Ausland zu verbringen: Die Erkenntnisse. Nicht das Reisen, das „Helfen“ und das „Ich-tue-mal-auf-local“, über das man sich auf Instagram, Facebook und diversen anderen sozialen Medien profilieren kann/muss. Die Erkenntnisse über das Gastland, über das Heimatland, über die globalisierte Weltgemeinschaft und zuletzt besonders über sich selbst als einen kleinen Teil davon.

Hier noch ein wenig Inspiration zum weiterlesen:

UTOPIA:
Dieser Kurzfilm hat mich besonders bewegt, da er ganz ohne Worte etwas sehr wichtiges aussagt. Utopia.de lohnt sich aber generell zum Stöbern über viele interessante Themen.

SONGKRITIK:
Warum Do the know it’s Christmas? ein noch schlimmerer Weihnachtssong ist als Last Christmas.
Und hier ein kritisches Antwortvideo dazu:

KRITIK AN FREIWILLIGEN:
Traurig, aber leider wahr in einigen Fällen.

UND ZU GUTER LETZT…
Als Aufforderung, Spendenaufrufe und auch Zeitungsartikel kritisch zu hinterfragen. Medien arbeiten mit Stereotypen. Man muss nicht alles glauben. Und man sollte sich vorher richtig informieren, bevor man etwas spendet.



“The views were immensely wide. Everything that you saw made for greatness and freedom, and unequealled nobility.”
Karen Blixen, Out of Africa

Kerstin