Time flies. But you are the pilot.
Sechs Monate ist es nun her. Genau sechs
Monate. Auf den Tag genau vor einem halben Jahr bin ich hier in Kapstadt
gelandet. Am 11. September 2016 habe ich meinen Fuß zum ersten Mal auf den
afrikanischen Kontinent gesetzt. Das Abenteuer Südafrika hat begonnen. Nun ist
die Hälfte meines 12-monatigen Freiwilligendienstes bereits vergangen. Es ist
an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen.
1 – Arbeit
Ich bin in erster Linie hier, um zu arbeiten.
Das war mir von vornerein klar und ich finde es wichtig, dies noch einmal zu
betonen. Freiwilligentourismus ist ein Thema, mit dem wir uns während des
Vorbereitungs- und Zwischenseminars intensiv auseinandergesetzt haben.
Natürlich gehört das Entdecken des Landes durch Reisen dazu. Auch ich nutze die
Möglichkeit und sehe mir Südafrika an. Für mich hat die Arbeit im Projekt
jedoch den größeren Lerneffekt und steht deswegen für mich im Vordergrund. Mir
ist klar, dass ich als Freiwillige in meinem Projekt nicht die Probleme des
Landes oder des Viertels lösen kann. Das Projekt darf auch nicht nur durch mich
funktionieren. Das würde postkoloniale Strukturen begünstigen. Bei Mothers
Unite ist das auch nicht so. Die Organisation ist in der Community entstanden
und hat sich durch die Community entwickelt. Trotzdem habe ich die Möglichkeit,
viel mitzuwirken. Im Vergleich zum Beginn des Freiwilligendienstes haben sich
meine Aufgaben verändert. Am Anfang kannte ich die Dynamiken der Organisation
natürlich noch nicht so gut und ich
konnte nicht einschätzen, welche Arbeiten Priorität haben. Es hat etwa zwei bis
drei Monate gedauert, bis ich mich vollständig in die Organisation eingelebt
hatte. Mittlerweile sind mir alle Abläufe sehr vertraut. Ich kenne alle Kinder
und alle Seniors. Ich übernehme regelmäßig Klassen, wenn eine der Facilitators
fehlt, selbst wenn ich überhaupt nicht vorbereitet bin. Drei Stunden ECD am
Morgen? Kein Problem. Spontan in der Computer Class aushelfen? Auch nicht. Mir wird viel zugetraut und ich weiß
dieses Vertrauen zu schätzen. Besonders stolz bin ich darauf, dass ich die
Facebookseite wieder aufleben lassen konnte. Mit dem Überarbeiten der
Internetseite habe ich begonnen und das wird auch das größte Projekt in
nächster Zeit sein. Ich bin nach wie vor motiviert und fühle mich sehr wohl bei
Mothers Unite. Ja, ich arbeite viel und lang, aber ich habe diese Zeit gerne
investiert und bin auch weiterhin bereit, es zu tun.
2 – Umfeld
Südafrika ist nicht Deutschland. Vieles ist
hier anders, vieles aber auch gleich. Ich könnte euch jetzt all die Dinge
aufzählen, die in diesem Land doch ach so verkehrt laufen. Oder all die Dinge,
die ich vermissen werde, wenn ich wieder in Deutschland bin. Aber darauf kommt
es mir gar nicht an. Mir ist es wichtig, die richtige Einstellung zu haben. Als
ich den Platz in Südafrika angeboten bekommen habe, wusste ich natürlich auch
nicht genau, was mich hier erwartet. Deswegen habe ich mir immer gesagt: „Man gewöhnt
sich an alles.“ Ich war einfach offen und unvoreingenommen den Menschen und der
Kultur gegenüber. Und das hat sehr gut funktioniert. Nach gut zwei Monaten habe
ich mich schon so heimisch gefühlt als hätte ich schon weit mehr Zeit hier in
Südafrika verbracht. Ein Faktor, der die Dauer meines Einlebens mit Sicherheit
minimiert hat, ist mein Dasein als einzige Freiwillige hier in der Gegend.
Zuerst war es zwar nicht einfach, dass ich Aline nicht an meiner Seite hatte
und meine Erfahrungen und Gefühle nicht mit ihr teilen konnte, aber ich habe
mich recht schnell damit abgefunden und einfach das Beste daraus gemacht. So
bin ich viel schneller mit den Menschen hier in Kontakt gekommen und konnte
Beziehungen aufbauen. Mittlerweile fühle ich mich hier heimisch und voll
integriert. Mir wird auf der Straße nur noch sehr selten hinterher gestarrt.
Man weiß hier jetzt, dass Kerstin aus Deutschland in der St Peter Avenue wohnt
und ein Teil der Community ist.
Die größte Entwicklung sehe ich rückblickend,
wenn ich den Aspekt der Sicherheit betrachte. Ich möchte damit kein falsches
Bild erwecken: Südafrika hat seine Eigenarten auf diesem Gebiet und man sollte
es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich wurde leider durch meine
Vorbereitung total verängstigt und es ist ein Bild in meinem Kopf entstanden,
das hinter jeder Straßenecke einen Kriminellen versteckte und jedes Auto einen
Gangster enthalten ließ. Ich hatte den Eindruck, dass mich nur ein einziger
Schritt, den ich alleine tue, in Lebensgefahr bringt. Dadurch habe ich mich
auch selbst eingeschränkt und mich nicht wirklich frei gefühlt. So ist es aber
nicht. Ich habe keine Angst hier in Seawinds. Ich laufe alleine zur Arbeit. Ich
gehe alleine zum Shop an der nächsten Ecke. Ich fahre alleine Taxibus. Durch
Lavender Hill, wo „die ganzen Gangster wohnen“ (Zitat eines Uber-Fahrers). Dann
steige ich alleine aus und laufe nach Hause. Okay, die Community musste dafür
erst wissen, wer ich bin. Aber jetzt ist das kein Problem mehr. Und in Kapstadt
selbst bewege ich mich auch frei. Die Stadt ist mir mittlerweile sehr vertraut
und ich weiß, wie ich mich verhalten muss, um mich nicht in Gefahr zu bringen.
Natürlich bin ich immer noch vorsichtig. Aber es ist eine gesunde Vorsicht und
keine unnötige und unbegründete Panik.
Reisetechnisch wird die zweite Hälfte des
Jahres definitiv spannender. Ich habe Kapstadt bis jetzt erst zwei Mal
verlassen. Das erste Mal war ich in Pietermaritzburg auf meinem Zwischenseminar
und das zweite Mal in den Zederbergen. Dafür habe ich aber viel von der Stadt
und der Umgebung gesehen. Ich meine, ich wohne in einer Stadt, die ein
Touristenmagnet ist. Da gibt es genug zu tun! Und für die nächsten sechs Monate
habe ich schon ordentlich Pläne gemacht. Heute, am 11. März, startet meine
Reise mit dem Kolping Workcamp. Wir werden uns knapp eine Woche lang auf der
Garden Route befinden. Darüber kommt auf jeden Fall ein ausführlicher Bericht!
Danach bin ich gerade mal knapp zwei Wochen wieder bei Mothers Unite, bis hoher
Besuch aus Deutschland kommt: Mama und Papa! Über Ostern begebe ich mich somit
erneut auf die Garden Route, aber diesmal mit etwas anderen Stationen. Fast zum
Abschluss des Jahres steht noch ein Besuch an: Meine beste Freundin Judith! Sie
kommt Anfang Juli, um erst eine Woche bei Mothers Unite mitzuarbeiten und dann
mit mir zusammen den ultimativen Roadtrip durch Südafrika zu machen. Exciting!
3 – Persönliche Ebene
Diese Ebene bietet meiner Meinung nach bei
der Betrachtung eines Freiwilligendienstes ein sehr großes Potential. Bei einem
unserer Seminare wurde sogar die These
aufgestellt, dass der Freiwilligendienst mehr für den Freiwilligen selbst
bringt als für alle anderen Involvierten. So weit würde ich nicht gehen, aber
ich profitiere schon sehr vom Lerneffekt dieses Jahres. Mir gefällt, dass man
anders lernt als in der Schule. Irgendwie effektiver und nachhaltiger. Belohnt
wird man nicht durch gute Noten, sondern durch Erinnerungen und Erfahrungen. Ich
bin so viel selbstständiger geworden. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen
und stehe dazu. Ich habe meine Angewohnheit, mich für alles rechtfertigen zu
wollen, zu großen Teilen abgelegt. Ich habe verstanden, dass man es sowieso
nicht allen Leuten recht machen kann. Viel wichtiger ist es, selbst zufrieden
zu sein. Den Moment zu genießen. Und sich nicht so viele Sorgen um Morgen zu
machen. Es tut gut, alles ein bisschen lockerer anzugehen. Ich habe mich in der
Vergangenheit viel über unwichtige Dinge aufgeregt. Auch das habe ich abgelegt.
Ich akzeptiere solche Situationen einfach und mache das Beste daraus. Ich bin
flexibel. Ich tue Dinge einfach, ohne mich darum zu sorgen, ob es klappt oder
ob es perfekt wird. Wenn nicht, ist es auch okay. Man lernt aus seinen Fehlern.
Ich schätze die kleinen Dinge: Ein Kompliment, eine Süßigkeit, eine Umarmung,
gemeinsames Lachen, ein „ich hab dich lieb“, den Geruch des Ozeans, den
Geschmack von Salz auf meinen Lippen, den Wind in meinen Haaren, die Wolken
über den Bergen, die tiefstehende Sonne am Abend, die Lichter der Stadt in der
Dunkelheit. Es braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Man muss es nur
wollen.
Gleichzeitig befinde ich mich immer noch in
einem wohl nie endenden Lernprozess. Ich hinterfrage viel. Wieso habe
ausgerechnet ich die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst in Südafrika machen?
Wieso stamme ich aus einem Elternhaus, das mir diesen Wunsch verwirklichen
kann? Was macht mich zu einem privilegierteren Menschen als manch anderer?
Wieso müssen Menschen immer stereotypisieren? Warum behandeln Eltern ihre
Kinder nicht so, wie man sie behandeln sollte? Gibt es da überhaupt ein Ideal?
Was sind eigentlich Ideale? Braucht man die überhaupt oder sind sie nur ein von
der Gesellschaft kreiertes Bild? Inwiefern sind ganze Gesellschaften
manipulierbar? Und und und. Fragen über Fragen, auf die es keine Antwort und
unendlich viele Antworten gleichzeitig gibt. Was ich damit sagen will: Ich
hinterfrage, um zu verstehen. Um Erfahrungen zu ordnen. Um Hintergründe zu
entdecken. Und am Ende einen differenzierteren Blick auf meine Umwelt und auf
mich selbst zu haben.
Nachtrag: Aufgrund fehlenden Internets hatte ich bis jetzt nicht die Möglichkeit, ein kleines, selbst geschnittenes Video mit einigen Impressionen von meinen bisherigen Erlebnissen in Kapstadt hochzuladen. Dazu hier jetzt der Link .
Nachtrag: Aufgrund fehlenden Internets hatte ich bis jetzt nicht die Möglichkeit, ein kleines, selbst geschnittenes Video mit einigen Impressionen von meinen bisherigen Erlebnissen in Kapstadt hochzuladen. Dazu hier jetzt der Link .